Frieden finden - KOMETA AG
KOMETA AG, Kommunikation, Mediation, Schulung, Trudi Abächerli-Halter, Hofstrasse 4, Sarnen
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Frieden finden

Eine kleine Geschichte für die Adventszeit und zum Jahreswechsel!

Eines Abends spazierte ein Paar den Strand entlang, fand einen friedlichen Ort, breitete eine Decke aus und machte es sich gemütlich, den Sonnenuntergang zu geniessen. Die beiden Verliebten hatten einen Picknickkorb mit Hähnchen und eine Flasche guten Weines mitgebracht. Die Frau breitete das Picknick aus, der Mann schenkte Wein ein, und sie stiessen auf ihr Glück an. Die Szene war friedvoll und romantisch, doch sie waren nicht allein. Neben ihnen hatten sich Möwen niedergelassen, die es auf das Essen abgesehen hatten. Die Frau nahm das letzte Stück Hähnchen und warf es mitten unter die bettelnden Vögel. Eine Möwe öffnete den Schnabel und schnappte nach dem Stück Fleisch. Mit verzweifelten Flügelschlägen stürzten sich die anderen ebenfalls auf den hingeworfenen Bissen. Lautes Gekreische durchschnitt die Luft. Die erste Möwe aber konnte das Stück Fleisch für sich retten, erhob sich in die Lüfte und nahm Kurs aufs offene Meer.

Doch die gefrässigen Vögel gaben nicht auf, machten weiter Jagd auf die Möwe und attackierten sie. In ihrem unbarmherzigen Kampf um das Stück Hähnchen kannten sie keine Gnade. Einige versuchten, es der Möwe aus dem Schnabel zu reissen, andere schienen das Objekt ihrer Begierde bereits vergessen zu haben und griffen die Möwe direkt an. Sie kreischten und hackten auf sie ein, doch die Möwe flog weiter. Sie hatte den Bissen Fleisch ehrlich erworben, das Glück hatte sie bedacht, und sie wollte nicht fahrenlassen, was sie gewonnen hatte.

Doch der Kampf war noch nicht zu Ende. Auch die anderen Möwen wollten nicht aufgeben. Sie hatten die Verlockung verspürt, nun wollten sie den Preis. Für die Möwe wurde es immer schwerer, den Bissen zu verteidigen. Als sich Erschöpfung bemerkbar machte, begann sich die Möwe zu fragen, ob es sich überhaupt lohne, an dem Bissen festzuhalten. Welchen Preis musste sie dafür bezahlten? War es wirklich die Anstrengung wert?

Irgendwann erkannte die Möwe, dass der Zeitpunkt kommen werde, an dem sie loslassen musste, woran sie festgehalten hatte. Es würde der Punkt kommen, an dem die negativen Folgen des Kampfes den Nutzen der Belohnung übersteigen würden. Sie öffnete den Schnabel und liess das Stück Hähnchen aus. Schon schoss eine andere Möwe auf den fallenden Bissen zu. Die Angreifer drehten blitzschnell ab und stürzten sich auf ihr neues Opfer; die Schlacht zog auf einen anderen Schauplatz, und die Möwe fühlte sich erleichtert.

Sie erinnerte sich an ein beliebtes Sprichwort der Seevögel: Der Ozean ist reichlich gefüllt mit Fischen. Sie wusste, sie würde keinen Hunger leiden müssen. Sie war sich ihrer Fähigkeiten als Jäger bewusst und sah schon die Gelegenheiten, die auf sie zukommen würden. Den Kampf hinter sich lassend war sie frei, um sich entspannt nach einem anderen Mahl umzusehen, das sie ernähren, sie satt und zufrieden machen würde. Diesen Kampf hatte sie nicht um des Überlebens willen geführt. Wieder schwang sie sich in die Lüfte, diesmal jedoch nicht, um Angriffen auszuweichen, sondern aus reiner Freude am Fliegen. Eine frische Brise hob sie empor, und da flog sie, ein sich scharf gegen das tiefe Blau des Himmels abzeichnender weisser Punkt. Die Möwe genoss ihre Freiheit und den Frieden.

Das Paar sass am Strand und sah, wie sich eine einzelne Möwe aus dem zankenden Geflatter der anderen löste. Sie folgten der Silhouette der Möwe, die ruhig über die goldenen Strahlen der untergehenden Sonne segelte. Die beiden Menschen umarmten sich und empfanden die Ruhe und Innigkeit eines zu Ende gehenden Tages. Auch die Möwe fühlte sich eins mit der Friedlichkeit der Welt und dachte bei sich: «Ich mag wohl einen Bissen Fleisch verloren haben, doch ich habe den Frieden des Himmels gewonnen.»

Quelle:
Bannink, F. (2009). Praxis der Lösungs-fokussierten Mediation. Konzepte, Methoden und Übungen für MediatorInnen und Führungskräfte (1. Aufl.), Stuttgart: Concadora Verlag.